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t-shirt indices
fortlaufend seit 2017










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Ein Text in Cinemascope für Frederik Foert. 


Marnie whispers:"Please, Mr. Blake, blow up the short cuts.
My shining says that the apocalypse comes now and will kill Bill and the whole westworld. I always knew that the river does not return and flows into a swimmingpool full of jaws. ( Dort zieht Esther atemlos ihre endlosen Bahnen. ) Heat comes over us and burns the straw dogs and the flying phoenix. Help, dead man, rise your golden finger and show the birds the way to Casablanca, where the black windmill roars and die schwarze Tulpe blüht. Noch bist du Mieter im Dorf der Verdammten, but you will get away to Eldorado. Don´t look now and you can see, that Rosemary´s baby has been touched by evil. In the night you are the hunter, you will know where the eagles dare and wer beim Sterben der Erste sein wird. Dann, in den drei Tagen des Condor kommen die üblichen Verdächtigen zusammen: der dünne Mann, Aguirre, the Good, the Bad, the Ugly, die Marx Brüder, der dritte Mann und 8 1/2 Yakuza. Doch sie sind schon tot und schlafen fest, streu Magnolien auf ihr Grab. Sie hatten ihre Reifeprüfung. Jeder von ihnen hatte eine phantastische Reise und nun, über den Dächern von Nizza, lauschen sie Fitzcarraldos Stimmen. They know that everything has always been pulp fiction und am Ende tanzen Vampire auf dem Sunset Boulevard. Now it is up to you. Get away to Eldorado, follow the path of the pink panther and do not listen to Alexis Zorbas, he has never had the shining. Watch out for the marathonman, he is a blade runner and you could have a crash at Miller´s crossing. Gatsby is the last dull boy standing, but he only knows the way to Chinatown. Sieh in die Sonne und nach langer Odyssee schliesst sich der Kreis, dann wirst du wissen was π bedeutet. This will be your matchpoint in the game against the machine. In ihrem Inneren rasen die Bilder an dir vorbei. Draußen wartet der Taxifahrer, denn das Ende kommt bald."


Erschienen im Katalog zur Ausstellung "On a Clear Day you can see forever" in der Städtischen Galerie Delmenhorst, 2013. 
ISBN 978-3-944683-02-7.


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text zur zeichnung, allgemein
olivia w. seiling, 2013


ich, der blinde fleck. 
zeichnen hilft.
ich sehe meine umgebung. aber ich sehe nicht mich.
ich schaue aus mir heraus und kann den ort 
meines befindens bestimmen. ich schaue in mich hinein 
und kann den status meiner befindlichkeit erkennen.
aber in meinem gesichtsfeld findet sich ein blinder fleck.
an dieser stelle der netzhaut, setzt der sehnerv an.
die netzhaut entwickelte sich aus einer ausstülpung des gehirns.
ich bin in meiner weltbetrachtung das, was mein blinder fleck
für mich ist: eine optische leerstelle.
ich bin ein teil der welt, kann mich aber selbst nicht sehen.
ich bin eine ausstülpung der welt.
und in meinen augenhöhlen bin ich mein eigener troglodyt.
ich suche beim sehen und finde im zeichnen.
das auge-hand-system schafft während des zeichnens eine induktionsschleife, die das autonome spiel aus wunsch, wille, abstraktion und deformation ermöglicht; deformation von information und das zeichnen von zeichen.
ich kann sie dechiffrieren, ich lese die linie. sie ist real, aber sie bildet keine realität. sie bildet die wirklichkeit von möglichkeiten.


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Interview mit Olivia Seiling geführt von Rose Neu
anlässlich der Ausstellung ops-room im souterrain.
Es wird die Videoarbeit ü.i.e. (dissoziationsübung) besprochen.





R.N.: In dem hier zu sehenden Video, trittst du als Puppenmenschhybridin in Erscheinung. Zusammen mit dem konsolenartigen Pult, aus dem der Film heraus projiziert wird, scheint es eine Versuchsanordnung zu sein. Ist das der ops-room? Was sieht man da? Und was konntest du herausfinden?

O.S.: Nicht das, was ich vermutete zu finden. Ursprünglich wollte ich eine Bauchredner-Ich-Puppe bauen, die mir auf einer dunklen Theaterbühne Fragen stellen sollte. Das war mir dann aber zu inszeniert und mir fielen auch keine Fragen ein. Ich entschied mich diesen Anzug zu nähen aber den Puppenkopf auf der Hand zu belassen. Das Puppen-Ich löst sich also nicht ganz von mir. Ich stecke deutlich sichtbar darin und in einer irgendwie absurden Verdrehung befindet sich der Kopf auf meiner rechten Hand und mein eigener Kopf ist vermummt. Im nächsten Schritt war dann klar, dass der Puppenkopf...

R.N.: ...der aussieht, wie die Puppen in Jim Hensons Muppet-Show...

O.S.: ...klarer Fall von kindlicher Prägung...also, dass dieser Kopf so gar nicht kindlich und frei ist, sondern übellaunig und herrisch, weil gestresst. Ich habe in ihm mein Über-Ich repräsentiert gesehen. Ich bewege mich also in einem merkwürdigen Reigen in einem aprikot-farbenen Ganzkörpertrikot mit einem Klappmaulpuppenkopf auf meiner Hand. Ich vermutete, dass mein Es sich durch meine Körpersprache sichtbar macht oder sich wenigstens durch die, vom Anzug stark betonte Körperlichkeit manifestiert. Aber ich wusste noch gar nicht, was oder wo mein Ich ist. Ich habe dann in mehreren Einstellungen verschiedene Positionen probiert und es ergab sich eine Interaktion. Beim Sichten des Videomaterials ist mir klar geworden, dass Ich der Vermittler war und dafür sorgte, dass Es und Über-Ich zusammenkommen. Und das ist der Punkt. Ich ist wohl keine feste Instanz, sondern der Raum der sich aus den Über-Ich- und Es-Strukturen immer neu bildet.


R.N.: Du hast deinen Ich-Raum gefunden in dieser Transformation zur living-doll. Im Spiel mit dir übst du, was es heisst der Freudschen Theorie der Dreigeteiltheit dem Über-Ich, Ich und Es zu entsprechen. Hm...?


O.S.: Kann schon sein. Ein mögliches Formverhalten des Ichs, der inneren Ströme. Auf jeden Fall war es eine weitere Möglichkeit durch diese narzisstische Beschäftigung mit mir, auf etwas zu stoßen, dass eine allgemeine Gültigkeit haben könnte. Und ich behaupte, dass es eine bildhauerische, inszenatorische Arbeit ist, die im Kontext zu gesellschaftlichen Phänomenen und zu jüngeren Forschungsergebnissen der Neurobiologie steht.


R.N.: Du beschäftigst dich sehr mit dir, hast du keine Angst, dass es zu unangenehmen Rückkopplungen kommen kann? Dass du dich, wie Narkissos, in deiner Spiegelung verlierst, weil du dich ja immer nur selbst in deinen eigenen Augen spiegelst.


O.S.: Implodieren... Kollabieren... kann passieren. Und man spiegelt sich ja in allem, besonders gut in den Pupillenspiegeln seines Gegenübers. Leben ist Ansichtssache. Wenn ich es genau nehme, bin ich ja immer auf mich selbst zurückgeworfen. Alles erscheint mir als Abbildung, als Spiegelbild, in meinem Wahrnehmungsapparat, der inneren und äußeren unbewußten Einflüssen unterworfen ist. Alles hochgradig autokonstitutiv und rätselhaft, weil nicht einsehbar.


R.N.: Arbeitest du an der Enträtselung des menschlichen Seins?


O.S.: Das ist nicht meine Aufgabe. Ich versuche nur zu verstehen, wie ich funktioniere. Ich arbeite mich daran ab, dass man eben nie dahinter kommen kann, weil man ja drin steckt.


R.N.: Was kann man gegen diese Betriebsblindheit tun?


O.S.: Gar nichts. Ich nehme das zum Anlass, auf die Signale meines Unterbewußtseins zu achten, ihm alle Ausdrucksmöglichkeiten offen zu lassen und deshalb kann ich nicht alles erklären. Tatsächlich verunklärt sich vieles und ich denke dann lange nach und beginne langsam zu verstehen, dass es einen roten Faden in einem riesigen Labor-Labyrinth gibt, der mich vorantasten lässt, ohne dass ich das Ziel vor Augen habe.


R.N.: Um vielleicht am Ende zur Narzisse zu werden...


O.S.: Ja, dass erscheint mir nicht als das Schlechteste. Denn eine Narzisse, ist eine Narzisse, ist eine Narzisse...


R.N.: Dafür, dass du deinem Unterbewußtsein viel Raum gibst, ist es aber eine recht überschaubare Ausstellung. Es sind wohl eher einzelne Lichtpunkte, als Impulse am laufenden Band?


O.S.: (lacht)...Ja, manchmal ein kaum noch wahrnehmbares letztes Aufglühen. Ich wähle nach Dringlichkeit und muß mich in Ausstellungen auch an der Perspektive des Betrachters orientieren. Da zeige ich lieber weniger. Und oft denke ich, es wäre besser, nichts zu tun...wie Diogenes in seiner falsch übersetzten Tonne nichts anzubieten, außer Zynismus.


R.N.: Ja, Diogenes ein großer Egomane und zynischer Exhibitionist. Habt ihr was gemeinsam?


O.S.: Das weiß nur mein Unterbewußtsein. Und auch Egomanen sind nicht als Egomanen 
zur Welt gekommen. Alles hat einen Ursprung...vielleicht die emphatisch vorgetragene Selbstgenügsamkeit.

R.N.: Gibt es noch Dinge, die dir wichtig wären, gesagt zu werden?

O.S.: So eine Frage wird selten gestellt. Drauf kann ich nur mit
Stichworten und kurzen Zitaten reagieren, die mir mein Untergrundbewußtes geschickt hat. (blättert in Notizen) Hier das klingt gut: „Existenz ist Persistenz", „Das Drama der Erkenntnis", „Das Drama der Nicht-Erkenntnis", „Selbstbewußtsein heißt Objektsein", „Emergenz en gros"... „Dinge die mir nichts sagen", „Ich dekliniere meine Möglichkeiten“, „Präzision ist Illusion"... „The Puppet-Matrix", „Häuschen aus Hirn", „Ein Ich aus Benennung" und, und, und, ...
ach, hier zum Schluß: „Am Ende alles umsonst". Schön.

R.N.: Darüber könnte man noch lange sprechen.

O.S.: Könnte man.


Berlin im April 2010.

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zu rose neu & olivia w. seiling


Rose Neu und Olivia Seiling lernten sich zufällig kennen.
Sie trafen in Potsdam am Einsteinturm aufeinander, als Seiling
für das Einsteinstiefelprojekt recherchierte und Neu sich vom
Einsteinturm abseilte, den er in einem schwierigen Kletterakt
gerade bestiegen hatte. Das war im Januar 2006.
Seitdem arbeiten sie gemeinsam, nutzen gegenseitige Potenziale, werden zu Figuren in des anderen Film und zeichnen gemeinsam.

Rose Neu, irgendwann in den 1940er Jahren geboren, trieb sich
nach seiner Grafiker-Ausbildung im Düsseldorfer Raum herum.
Studierte 1972 ein halbes Jahr bei Beuys, spielte in verschiedenen Bands Schlagzeug und Theremin (Ätherophon) und verließ Europa dann für einige Jahre, um Berge zu besteigen.

Er lebt heute in der Nähe Berlins.

Bei Olivia Seiling, 1972 geboren, wurde schon früh das Interesse für zeitgenössische Kunst geweckt (Besuche mit der Familie der Documenta 5, Art Cologne, von hier aus und jetzt) und auch eine Sensibilität für psychische Verwerfungen geschaffen. 

Nach dem Abitur studierte sie ordentlich ein paar Semester Kunstgeschichte, Philosophie und Germanistik in Münster und wechselte 1997 zum Studium der freien Kunst an die Kunstakademie Münster. Sie war Meisterschülerin bei Prof. Joachim Bandau. Nach dem Examen zog sie nach Berlin.

Rose Neus Erfahrungen aus den Besteigungen natürlicher Monumente (Nanga Parbat), sowie monumentaler Artefakte (Freiheitsstatue, Louvre-Pyramiden, Atomium und Einsteinturm), lassen ihn nun großzügig in performativen Denkräumen agieren.
Dort trifft er dann auf Seilings Assoziationslandschaften, die bestückt sind mit fata morgana ähnlichen Erscheinungen, die darauf deuten könnten, wie fragil und durchscheinend theoretische und auch praktische Existenzen und anthropozentrische Konzepte sind. 

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zum video mechanischer eremit 
für essays and observations, 
ausstellung: the moving object. 
kuratiert von tommy støckel, 2011.





























text zur ausstellung schweifendes organum
im souterrain, berlin, 2009.



ein kariertes kissen.
ein gittermodellkissen, 
um den müden geist zu betten.
einen sehr großen müden geist.
mein freund rose neu posiert für mich vor einem
spiegel und zeigt mir ein doppeltes v, ein w. 
und das steht für wahrnehmung, wahn oder wollen.


aber eine folie, ist nur eine folie. 
eine folie, ist eine folie.
eine karierte folie, ist eine matrix.
ein weisses blatt, ist ein raum.
ein raum für ideen.
der kopf ist der träger der ideen.
der kopf ist körper. die ideen sind körper. 

eine folie, ist eine folie
ein bezeichnetes papier, 
ist ein bezeichnetes papier. 
eine hand ist, eine hand. 
ein kopf, ist ein kopf 
eine idee, ist eine idee. 
eine funkelnd neue idee, 
ist immer die beste idee. 



wenn ich die augen schließe, ist es erst mal dunkel. 
dann rufe ich eine idee auf, an der ich arbeiten will. 
vor dunklem hintergrund, etwas unscharf 
formen sich dann variationen und mögliche 
manifestationen. in einer fließenden bewegung 
reihen sie sich aneinander. an einem punkt wird das bild klarer. und ich kann an der praktischen umsetzung feilen. 
details und materialbeschaffenheit werden mir angezeigt. inwendig hantiere ich mit papier, farben und folien. wenn das endprodukt 
dann einfach aus mir herausfallen würde, wäre ich sehr glücklich. 
dann könnte ich riesige ausstellungsflächen mit meinen, in material meditierten befindlichkeitsmanifestationen füllen...eigentlich ist das doch keine gute vorstellung... 
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gespräch zwischen olivia w. seiling und rose neu anlässlich
der ausstellung "schwere inklusion", 2011.

in dieser ausstellung sind zwei große, frei im raum hängende zeichnungen auf folien und eine kleinere gerahmte, mehrlagige folienzeichnung zu sehen, dazu ist eine toninstallation zu hören.
wenn man den ersten raum betritt, sieht man die zeichnung einer großen vitrine, eines terrariums mit nicht leicht zu durchschauendem inhalt. scheinbar ist es eine modelartige anordnung aus ästchen, figürchen und unbekannten dingen zu einer waldszene, in der ein gerippe auf einem pferd eine frau ohne unterleib auf einem mit rädern versehenen sockel hinter sich her zieht. unter der vitrine liegen auf dem nicht weiter bezeichneten boden papierschnipsel und die vorzeichnung(?) einer frau mit einer waffe.
man wendet sich nach rechts und bemerkt, dass im zweiten raum eine ebenso große folie mittig von der decke hängt, die auf der ganzen fläche eine opulente waldszene mit vielen details und wiederum einer frau ohne unterleib und einen rippigen reiter zeigt. dazu tönt es plätschernd, windig sausend, krachend, pochend und hallig zwitschernd.
außerdem findet man im ersten raum noch eine kleinere gerahmte zeichnung auf folie, die nur augen unter einer verwischten, gräulichen wolke zeigt, die wohl die verwischung einer vormals dort befindlichen zeichnung ist.
alle drei arbeiten sind auf mehrlagiger, recht stabiler, leicht milchiger folie gezeichnet. die zwei großen füllen den abstand von der decke bis zum boden, sind aber sogar noch größer und liegen unordentlich drappiert am boden auf. wenn man genau hinsieht, bemerkt man, dass die große waldszene auf drei folien in vorder-, mittel- und hintergrund verteilt wurde und sie sind in einen leichten abstand zueinander gehängt; eine graduelle unschärfe und eintrübung der linien ist die folge.
der zeichenstil ist beiläufig, bisweilen verschnörkelt, verspielt oder kantig unbeholfen, die linien lösen sich bei naher betrachtung in kleinen, getrockneten tröpfchen vom zeichengrund ab, denn der flüssigkreidefilzstift mit dem gezeichnet wurde, ist wasserlöslich.

r: man sieht, hört und staunt. ganz schön viel los auf deinen zeichnungen hier.ich kenne das von dir so noch nicht. hat sich etwas verändert?


o: nur im rahmen einer sukzessiven, normalen entwicklung war es an der zeit auch einmal diese möglichkeit durchzuspielen. wo ich sonst einzelne dinge oder einzelpotraits gezeichnet habe, ist nun ein panorama, eine ansicht vieler dinge in einem definierten raum dargestellt. ich habe sonst auf die räumliche, bezeichnete, einbindung verzichtet. hier gibt es eine geschlossene situation. eine art waldlichtung. und eine vitrine.

r: in situ, also. da hast du einen urwald zu deinem domizil für dich und deine werkstücke, die man überall wierdererkennen kann, gemacht. ist das der ort wo alles entsteht oder ist es ein refugium?

o: im sinne der zeichnung ist die zeichnung der ort, wo alles entsteht. beim zeichnen sind die dinge vor mir aufegtaucht.
aber im sinne einer anschließenden betrachtung ist es eher eine epische illustration. es stellt sich wohl eine art refugium dar, postapokalyptisch, mit einer gehandycapten viktoria, eine frau ohne unterleib, die dort wohnt. hast du mich eigentlich eben gefragt, ob diese lichtung mein domizil ist? ist es so deutlich, dass ich das bin?


r: davon bin ich ausgegangen. du webst dich ja gerne in deine arbeit...

o: ja, sie trägt aber eher mich, als dass ich sie trage.

r: aha...interessant, du bist also nur ein dünnes hemdchen auf dem gerippe der kunst. oder hüllst du dich doch in einen dicken, filzigen pelz aus kunstwollen und selbstverarbeitung. bei den australischen eingeborenen gab es, bevor es das vom weissen mann
eingeführte stigma der nacktheit gab, in manchen stämmen als tracht nur einen gewobenen gürtel aus eignem haar. hält dich denn
dein kunstgürtelchen gut zusammen, oder ist er...


o: keine ahnung, was du jetzt hören willst. also lass es mich ohne entlarvende selbstverbrämung versuchen. das bild mit dem dünnen fähnchen auf dem gerippe der kunst gefällt mir. vielleicht bin ich das tatsächlich auch manchmal. und ich sehe mir auch gerne dabei zu, auch wenns schwer fällt.

r: so wie man sich, in den eigenen träumen, auch selbst zusehen kann oder muss.

o: genau. ich habe nämlich vor einem jahr geträumt, dass ich vor der drohenden apokalypse, einem zusammenbruch der zivilistion, aus der stadt fliehen wollte und alles notwendige in großer eile zusammengesucht habe. taschenmesser, schnüre, folien, ersatzschuhe, regenkleidung, feuerzeuge, spiritus, töpfe und so weiter. aber ich wußte wohl auch, dass es keine rettung gibt. vielleicht ist diese zeichnung so etwas wie eine höhlenzeichnung oder eine verwischbare tafelzeichnung, die einen illusionsraum beschreibt. ein elysion, einen geistigen fluchtpunkt. aber ich frage mich auch, warum ich das tue. wieso ist es wichtig diesen sehr gebrauchten topos der apokalypse zu bemühen. soll es mir eine warnung sein? dann wäre es prophezeiung.

r: angst vor vernichtung, vor dem nichts. der gedanke an die eigene nichtexistenz ist erschreckend, aber auch anziehend.

o: ja, vielleicht ist das thema auch die eigentliche form. ich würde so gerne abstrakte zeichnungen machen; minimale, kaum existente gebilde auf hauchfeiner folie, aber versuche in die richtung waren mir immer zu aufgesetzt, wirkten bemüht und sogar stupide. also mein erfolgloses bemühen um die auflösung in abstraktion bewirkte vielleicht die darstellung dieser postapoklyptischen landschaft mit mir als gescheiterter viktoria gezogen von einem, der vier reiter der apokalypse, man muß sie sich als quadrigagespann vorstellen. diese vierer-koinzidenz fand ich bemerkenswert

r: stimmt, ist mir auch noch nicht aufgefallen. also ist für dich abstraktion die auflösung von existentem und nicht das wesen der zeichnung per se oder die verallgemeinerung von konkretem?

o: ja, doch, alles. wenn das geht. aber da bin ich noch nicht...

r: und daher wird erst einmal alles mit der bevorstehenden vernichtung konfrontiert, um es danach in einem zug auszuwischen.

o: ja, ja, in humanistischer manier die apokalypse beschreien und dann panzer- oder maschinengleich alles auslöschen, dazu aus selbstmitleid den niedergang beweinen. das ist doch ein schönes spektrum. scheußlich schön, so wie goyas saturn, der seinen sohn mit dem blick größter verzweifelung und angst verschlingt, um sich vor der eigenen vernichtung zu schützen.

r: also, damit ich das auch richtig verstehe, du hast durch die erkenntnis, dass abstrakte zeichnung dir nicht liegt, die gegenrichtung eingeschlagen, und mit einer überladenen fülle an erkennbarem detailreichtum geantwortet. aber thema der zeichnung ist eigentlich die auslöschung, die selbstvernichtung alles seienden, in form dieser verstümmelten viktoria mit ihren vierergespann aus den reitern der apoklypse. du hast dem nichts diesen setzkasten aus vielem entgegengesetzt und damit wahrscheinlich eine gleichung bestätigt, denn alles trägt das potenzial seiner vernichtung, seiner nichtexistenz in sich.
und trotzdem sehen wir das da was ist...man fragt sich, warum überhaupt.


o: es ist ein pendeln vom nichts zum alles und so weiter, ein fluß, ein werden und vergehen. deshalb ist die stimmung hier in der zeichnung auch gar nicht so düster, eigentlich ist es fast idyllisch, mit dem kleinen bach und der sandbank mit den merkwürdigen dingen, den zeltartigen baldachinen und soweiter. das ist wohl die affirmation des selbsterhaltungstriebs, ich mache weiter meine arbeit, obwohl ich denke, dass es besser wäre nichts zu tun, nichts zu produzieren. genau, das nichts zu produzieren. schön...


r: das ist ein gutes schlußbild, obwohl ich noch große lust hätte diesem vexierspiel weiter zuzusehen, denn es geht in einer drehung immer um mehrere dinge gleichzeitig, wir sehen machmal, genau wie in deinen zeichnungen, durch mehrere schichten hindurch und bewegen zwischen ihnen hin und her.

o: ich bin nun mal keine, der logik verpflichteten, analytikerin. vor dem nächsten gespräch schreibe ich mir vielleicht ein konzept, das keine fragen mehr zulässt. dann brauche ich dich gar nicht.

r: du brauchst mich sowieso nicht, das hier machen wir ja nur, um kleine volten zu schlagen.

o: volten für den weltenfrieden.

r: genau.
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über olivia seilings arbeiten von
Prof. Joachim Bandau Stäfa (CH), August 2003


There is no doubt that Olivia Seiling's main focus is on developing her own personal drawing style. Nevertheless, at the beginning of this expertise we should not forget to mention playful yet profound objects and "assemblages", frequently made of transparent and inflated plastic film. The included CD shows two examples - "ÙFO" from 1999 and "Kissen" from 2002. With both we find the characteristic usage of transparent plastic film, which through the air stream of little fans balloon into bellied bodies. Drawn on transparent plastic film the large sized object "Kissen" leans inflated against a column of the exhibition space. In the ensemble "UFO" the plastic film works as a shelter for a visible inner space that is lit by various sources. In the center of this interior we find a chair. The absent astronaut ought to be Olivia herself. The contradiction between serving as a protecting shell but at the same allowing voyeuristic transparency is evident. The "UFO" seems to float in high altitude in front of the wall. Still the wall seems to prevent this flying object from a certain crash.

These two pieces belong to a number of earlier studies with transparent plastic film or paper. The frequently used figurative drawings seem to be alive due to the constant air stream from the little fans used. For example faces seem to change their expression.

Among all her work drawing is by far the most important. The basis for this is a huge number of photographic sketches (size of 9x13 cm), small visual notes functioning as a kind of pictorial diary. Her subject: her friends, people she meets and likes and last but not least ... herself ... again and again in surprising variations. It seems like a never ending questioning of her own person. The initial photo is nothing more than a spontaneous fixation of an encounter. It is, however, the trigger for the drawing. The drawing itself dissolves the fleetingness of the photographed moment. With clear and powerful strokes the drawing distances itself from the photo and develops a life of its own. There are many such works in the 70 x 100 cm format.

During the same period Olivia also produced large-sized drawings on transparent plastic film (400 x 250 cm). With this her work reaches a completely new dimension. The photo sketches sized 9 x 13 are directly transferred to the giant size format without any help of projectors. The plastic films are pinned to a smooth wall and a ladder helps to make use of the giant screen. Orientation takes place right in front of the wall. With firm strong lines she sketches the portraits, the small photograph in one hand, the thick-layered oil colour in the other. The way in which she maintains her safety and her orientation on the drawing of the screen is astounding. Every line is exactly where it's supposed to be. Looking from close the linear reduction develops a vivid life of its own. Only from a distance is the viewer able to identify the faces. Insiders even recognize which person depicted. For exhibitions these oversized drawings are assembled to multipartite ensembles that hang loosely flittering from the ceiling.

In this accumulation of drawings the lines become independent, seemingly floating freely in the room. When you look through those different layers of plastic film the portraits lose their identity. Taking their place is an aggregation of lines forming a complex tangle of lines in the space. These space ensembles are made for one particular location and are not repeatable. They are autonomous temporary works.

In this regard I would like to point out some exhibitions where we can see the range of possible installations. "Neun Antworten auf ungestellte Fragen" (1999) is the name of an installation that took place in one of the horse stables of the former cavalry barracks in Münster. Several columns structure the room. Olivia approached this structuring using a square of columns to hang the plastic films in different directions to each other, forming a transparent cube suspended from the ceiling. Moving through this installation the viewer experiences the ever changing unstable spatial situation. A whole new world opens up.

We find a different situation with the installation "Privat" (1999) at the Goethe-Institut in Washington, U.S.A. The glass doors of the entrance form a protective shell for the fragile inner life. When opening the outer doors the plastic films gently move in the airflow.

Being glazed on all four sides, with unorthodox dimensions and architecture, the Wewerka-Pavillon in Münster defines the possibilities of the installation "Viele" (2000). More than 100 drawings filled the pavilion. Hanging from the lowly ceiling they folded onto the floor, seemingly standing on it. This created a labyrinth of lines bundling, a tightness, making makes it impossible to disentangle the chaos. The other side of the glazed pavilion became hidden. This installation explicitly shows how the single portrait disappears within the ensemble and conjoins with the others.

The installation "Noch viele" (2000) at "Kunstraum Fuhrwerkswaage" in Cologne has, in comparison to the work at "Wewerka-Pavillon", a completely different character. Here the drawings are hung like on a clothesline that starts in the center of the room with radial lines going to the sides. You can walk underneath those drawings as they are hung high under the ceiling. The light from the wide windows going along just below the very high ceiling flows through the plastic films providing the scene with a light and carefree atmosphere. All these installations show a high degree of competence in handling different spatial conditions. The space and the plastic films are communicating. Those environments are unique. They leave a strong impression, are fascinating and convincing.

Another interesting field of work are her short animated films consisting of very short image sequences. As with the previously mentioned work she again convinces with her mature style of drawing. In this respect I would actually much rather speak of moving drawings than of animated movies. Her casual sense of humor combined with her fresh and easygoing approach to this genre, while avoiding the use of computer technology, make these short films something very special and demonstrate a higher quality in comparison to similar works by other artists of the same generation.
(...)
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text zu olivia seilings arbeiten

von Jan-Hendrik Wentrup, August 2003



Die Zeichnung ist die Kammermusik unter den bildenden Künsten. Nicht das orchestrale Zusammenspiel, die mehrstimmige Partitur, sondern die leisen und häuslichen Töne bestimmen ihren Klang. Wo das Falschspiel des Einzelnen von der vielstimmigen Gemeinschaft übertönt werden kann, hat der Solist nicht die Möglichkeit auf das Korrektiv der anderen zurückgreifen und auch wenn er leise spielt, so hört man ihm doch umso genauer zu. Lange Zeit galt die Zeichnung als Vorstufe der Malerei, die Linie als Hilfe auf die Fläche. Erst seit der italienischen Frührenaissance erlangt das Lineare als Studie und Entwurf eigenständige Bedeutung, nicht zuletzt durch Rückbesinnung auf die Antike. Plinius sprach von der Bedeutung des abbildenden Strichs und seiner Fähigkeit, Dinge sichtbar zu machen, die über ihre Erscheinung als solche hinausweisen. Der Manierismus erkennt das „Ideal der selbstgütigen Linie“, das „disegno interno“ als die treffendste Möglichkeit geistiger Äußerung. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hat die Zeichnung ihre Autonomie letztendlich unter Beweis gestellt. Die Zeichnung galt als der direkte originale Ausdruck des Künstlers.

Olivia Seiling hat in ihren Arbeiten nie die Auseinandersetzung des Filigranen mit dem Opulenten gesucht, nie das vermeintlich Schwache gegen das ebenso vermeintlich Starke auszuspielen versucht, sondern ist in ihrer Kunst immer sie selbst geblieben und hat dort eine nachhaltige Haltung entwickelt. Selten handeln Zeichnungen so entschieden nach ihrem ureigenen Charakter wie bei Seiling. Still, ruhig, intim – eher für den Salon als den White Cube geeignet. Klassisch, traditionell, aber nicht retrospektiv. Besonders der Körper ist dabei von besonderem Interesse. Sämtliche Arten des Portraits werden bedient: Ganzfigur, Kniestück, Brust- und Kopfbild. Die repräsentierten Figuren sind dabei stets aus dem nahen, privaten Umfeld – Freunde und immer wieder Markus, ihr Freund, dem sie sich zeichnend nähert. Hier spürt man in besonderem Maße das sensible Einfühlen in eine andere Person, sein Nachspüren auf dem Blatt Papier. Erst das Kennen des anderen, das Scheinen des Inneren durch das Äußere, lässt die Vorstellung zum erkennbaren Abbild werden. Wenige Striche reichen aus, das Wesenhafte einer Person zu erfassen. Mal en face, mal in der variierenden Seitenansicht werden unterschiedliche Ausdrucksgrade der Persönlichkeit untersucht ohne den emotionsgeladenen Affekt zu zeigen.

Anders als in der Malerei ist eine Korrektur in der Zeichnung wie Seiling sie betreibt nur schwer möglich. Im Strich materialisiert sich in knappster Form das im Geist Vorgestaltete. Das Vorgestaltete ist geistiges Bild des sinnlich Erfahrenen, des „Kennengelernten“. Die Intimität des Vorgangs erklärt die Auswahl der Dargestellten. Anders als Elizabeth Peyton, die aus einem Moment persönlicher Obsession, die sich gleichsam auf ein intimes Umfeld wie auf Repräsentanten einer medialen Popkultur richtet, agiert, will Seiling ihren Figuren nicht in der Sichtbarmachung durch eigene Hand nachleben, sondern schafft die größere Nähe durch eine vornehme Distanz, die sie sich und den Dargestellten lässt. Obgleich ihre Zeichnungen Nachbildungen einer geschauten Wirklichkeit, Abbild, sind, sind sie aber immer auch Gleichnis, äußeres Zeichen eines inneren Vorgangs, auch wenn dieser durch einen realen Gegenstand verursacht wurde. Das Private ihrer Arbeiten weist somit immer auch über sich hinaus, nicht zuletzt über den Betrachter, der sich in der Auseinandersetzung mit Inhalt und Form gleichsam in Repräsentierten und Repräsentierende einfühlt. Die Betrachtung des Anderen bewirkt stets ein Abgleich mit dem Eigenen. Darüber hinaus schaut der Betrachter nicht bloß mit seinen, sondern auch mit den Augen des Künstlers, der das Wahrgenommene auf das Blatt überträgt. Künstler und Betrachter gehen somit eine Komplizenschaft in der Vorstellung ein, die immer auch scheitern kann, wenn der Betrachter die Vorgabe des Künstlers nicht anerkennt. Und gerade das Scheitern wird zur Bedingung von Kunst. Erst die Vielzahl der Erfahrungen, die Offenheit des Kunstwerks in seinen Aussagen unterscheidet es von der Dekoration. Kunst ist stets Behauptung, nie Wahrheit. Deckt sich die Vorstellung des Künstlers mit der Vorstellung des Betrachters, ist dessen Erfahrung von besonderer Intensität wie nur die Kunst sie liefern kann.

Besonders die gegenständliche Zeichnung, wie Olivia Seiling sie vertritt, vermag eine Schärfung des Eindrucks, da sie nie im Detail den Blick auf das Ganze verliert. Der Strich reduziert das Bild auf sein wesenhaftes Abbild und schärft es dadurch. Zeichnung ist somit gleichsam Abstraktion und Konkretisierung. Im stetig wiederkehrenden Selbstportrait wird das Blatt Papier auch immer zum Spiegel des eigenen Ichs. Kann man im Spiegel sich nur anschauend nachforschen, kann man sich in der Zeichnung durch Tätigkeit erfahren, sich als Schöpfer selbst gegenüber treten ohne sich besonders inszenieren zu müssen.

Die besondere gegenständliche Prägnanz der Arbeiten Olivia Seilings ergibt sich aus den sicheren, aus ruhiger Hand fließenden Linien. Die reine Konturlinie befreit die Darstellung von jeglichem Überfluss, Plastizität wird nicht durch Höhung und Schraffierung erreicht, sondern allein aus der Linie und dem weißen Umraum geschaffen. Der Strich ist nicht nervös, zittrig und unsicher dem Gegenstand gegenüber, sondern leicht und von präzisem Schwung, wird manchmal im Fluss gestoppt, kehrt um und verstärkt sich durch Druck des Graphitstiftes aufs Papier, um Markantes hervorzuheben. Der Betrachter ist geneigt, in Anbetracht der empfindenden Harmonie, der Übereinstimmung von Schein und Wesen des Gegenstandes, die Schönheit als Erfahrungsbegriff ins Spiel zu bringen, ohne einer reaktionärer Rhetorik zu verfallen, die sich an eine vormoderne Ästhetik anschließt. Ist es doch heute gerade das Unschöne, das Nichtklassische und das Vulgäre das schreiend auf dem Kunstmarkt der Eitelkeiten postuliert wird. Man möchte sich der Meinung William Hogarth`s anschließen, dem satirisch bissigen Kupferstecher des ausgehenden Barock, konstituiert in seiner Abhandlung „Analysis of Beauty“ (London 1735) die Linie als das verbindende Element von Natur und Kunst. Sie steht als Elementarform für die Konstruierbarkeit und damit Vermittelbarkeit des Schönen. Daran unbewusst anknüpfend hat gerade Warhol in der Zeichnung das entsprechende Medium für die Übertragung einer Welt der schönen Dinge gefunden. Die Inszenierung von Schönheit ist dabei nicht unkritisch und affirmativ, sondern ein Mechanismus der Abwehr einer unschönen Welt. Das Unschöne ist somit immer auch Teil des Schönen, da es das eine nicht ohne das andere gibt. In den Zeichnungen von Olivia Seiling bleibt das Zweifeln und manchmal auch Verzweifeln als ständiger Impuls sichtbar.

In besonderem Maße widmet sich Warhol dabei dem menschlichen Körper als Motiv. Hierin und in dem Stil der linearen Konturierung und ökonomischen Handschrift erinnert Seiling nachhaltig an den frühen Popartisten. Warhol hat seine Darstellungen aus Zeitschriften, Zeitungen und Magazinen entnommen und in der sinnlichen Dokumentation seines gesellschaftlichen Umfelds auf Fotografien zurückgegriffen. Auch Olivia Seiling benutzt als Vorlage für ihre Arbeiten Schnappschussfotografien. Oftmals nimmt sie auch den zu Portraitierenden zuvor mit einer Videokamera auf, versucht in der gestischen Unbekümmertheit den Ausdruck zu finden, der als pars pro toto für die Person geeignet scheint. Dieser wird dann im Standbild eingefroren und auf das Blatt übertragen. Die Rückübertragung eines medialen Abbildes in die klassische Form der Zeichenkunst ist dabei kein Gestus einer zeitgeistigen Kritik, sondern eine Verschränkung der Medien im Arbeitsprozess. Seiling zeichnet nach einer Photo- bzw. Videonatur. Dass sie ihr mediales Gegenüber dabei in einem Zustand freundschaftlicher Nähe fasst, erklärt die emotionale Zurückhaltung in den Bildnissen. Es ist die kleine Geste und nicht der expressive Pathos, die die Dargestellten kennzeichnet.

Sind es auf der einen Seite die bewegten Bilder des Videos, die die „festen“ Abbilder der Zeichnung bedingen, so führen auch umgekehrt zeichnerische Abfolgen zu kleinen Zeichentrickfilmen. Das Serielle zeigt sich hier als ein gleiches Verfahren in bildender Kunst und Film. Die kleinen Filme von oftmals wenigen Sekunden Dauer sind weniger Erzählungen als szenische Momente, in denen wiederum der Mensch im Mittelpunkt steht. Dessen innere Ruhe geht hier zuweilen mit minimalen Veränderungen, die sich grotesk komisch ausweiten können, einher. Eine Zunge verschwindet in einer Nase, Haare verdichten sich zu Brüsten, ein Auge vergrößert sich so stark, dass es schließlich dem Gesicht entwächst.

Bewegung, wenn auch von ganz anderer Art, ist auch mit kennzeichnend für zeichnerische Arbeiten, die sich zu Installationen ausgeweitet haben. Ende der 1990er Jahre hat Seiling den Bildträger gewechselt und mit dickem Ölstift auf großformatigen durchsichtigen Folien gearbeitet. Diese wurden dann an der Decke des Raumes befestigt, freihängend, hinter- und nebeneinander gestaffelt. Die zweidimensionalen Bilder wurden so im Durchblick zu Teilen eines dreidimensionalen Körpers, ohne im Ganzen fassbar zu sein. Die assoziativ gehängten Einzelbilder ergänzten sich zwangsläufig zu einem narrativen Gesamtbild ohne vorgegebene Dramaturgie. Der Betrachter, wenn er sich im Zwischenraum der Folien bewegte, konnte so unmittelbar in die szenische Struktur eintreten und aus wechselnder Perspektive unterschiedliche Erzählstrukturen entwickeln. Zugleich versetzten die leichten, so kaum spürbaren Luftzüge, die Folien in sanfte Bewegungen. Olivia Seiling nimmt den Menschen in der Kunst auf – in den Installationen und in allen anderen Arbeiten.
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